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Mitch Ryder & Engerling Sonntag, 19. Januar 2003, | |||||||
Die schicksalhafte Begegnung
liegt 9 Jahre zurück, als sich Mitch Ryder, die Detroiter Legende des
R’n B und ‚Engerling’, die ostdeutsche Blues-Rock Legende, in den
Hansa-Studios Berlin kennen lernten. Man erkannte bald eine gemeinsame
Basis, die in der Folge zu einer äußerst fruchtbaren und nachhaltigen
Zusammenarbeit führen sollte. Mittlerweile bestreitet das geniale Team
die fünfte Tour in Europa und nahm zwei wunderbare Alben zusammen auf. Kompromisslos im Bemühen um musikalische und inhaltliche Qualität, in ihrer Kreativität und Vielseitigkeit und auch in menschlichen Aspekten haben sich Engerling und Mitch Ryder getroffen, beide auf ihre Weise legendär, mit unterschiedlichen Lebenswegen und dennoch mit der selben Vision. „Why the amerikans
feel, they must go to war?“
Mit
dieser Frage beginnt Mitch Ryder sein Konzert im übervollen Zeitgeist
und steht damit am Beginn seiner Europa-Tournee 2003. Das Thema wird ihn
die Tour lang beschäftigen, denn es ist für ihn eine essenzielle Frage,
die ihn angesichts der Kriegsvorbereitungen seines Landes immer wieder zu
eindeutigen Statements gegen den Krieg drängt, die vom Publikum mit
Begeisterung aufgenommen werden. An Songs ohne Inhalt hat er kein
Interesse. Er benutzt seine Musik, um sich mitzuteilen und den Blick
seiner Zuhörer zu schärfen. Tiefgründige und ehrliche Texte sind sein
Anspruch. bei gesellschaftskritischen Inhalten ebenso wie in Lovesongs. |
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„War“
heißt der erste Titel des Abends, der bereits Anfang der achtziger Jahre
entstand und heute nicht nur musikalisch ausgesprochen modern klingt
sondern auch inhaltlich von trauriger Aktualität ist. Kraftvoll beginnt Wolfram
Bodag an Orgel und E-Piano und steigert das Thema bis es von dem
Gitarristen Heiner Witte und dem Detroiter Gastgitarristen
Robert Gillespie zweistimmig übernommen wird. Schlagzeuger Vincent
Brisach und Bassist Manfred Pokrandt sorgen unaufdringlich für
einen durchgängigen Groove. Ob als Background für den engagierten,
teilweise wutgeladenen Gesang Mitch Ryders oder in den Soloparts, das
feine Orgelspiel wie auch die Gitarrenarrangements zeugen immer wieder von
großartiger Musikalität und Kreativität, womit die Band und ihr
Frontmann das ganze spannungsgeladene Konzert lang verschwenderisch
umgehen. Das Programm umspannt nicht nur
ältere und jüngere Titel von Mitch Ryder, sondern auch Klassiker von Bob
Dylan, den Stones und den Doors. Doch es wird nichts
aufgewärmt und neu serviert. Wenn Ryder auch zugibt, kein ‚young
chicken’ mehr zu sein, kommen die Cover-Songs dennoch oder gerade daher
frischer, explosiver, aufregender als die entsprechenden Originale. Ein Titel von seiner 92er Platte
„La Gash“, von dem man unwillkürlich glaubt, er wäre erst in letzter
Zeit entstanden, ist „Terrorist“. „Ich versuche mein Bestes,
um einen Terroristen zu verstehen.“ Vincent Brisach beginnt mit
straightem Vier-Viertel-Takt seine Runden gleichmäßig über Trommeln und
Becken zu ziehen, das mit dem Fuß bediente Hi-hat zischelt zart und
geheimnisvoll, während die Basstrommel mit dem knurrigen fünfsaitigen
Bass von Manne verschmilzt und so die rhythmische und soundmäßige Basis
des Titels bildet. Mitch’s Terrorist ist auf der hoffnungslosen Suche
nach Aufmerksamkeit, nach terrifying love. Orgel und Gitarren zaubern dazu
orientalische Sounds. |
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Nach Bob Dylans „Subterranean
Homesick Blues“, der gleich mit einem mitreißenden Orgel-Solo
beginnt und auch die, von Boddi excellent gespielte Mundharmonika, nicht
vermissen lässt, folgt „President“. Der beschwingte
Reggae-Rhythmus mutet im Kontext eher sarkastisch an. In den 80er Jahren
auf den damaligen Präsidenten Georg Bush gemünzt, bekommt der Song auf
den Sohn und derzeitigen Präsidenten Georg W. Bush bezogen Brisanz. Das
ist nicht sein Präsident - man muss dem geradlinigen Künstler diese
Worte glauben! „If the Shoe“
ist einer der ganz neuen und aktuellen Titel. Beeindruckende Arbeit
leistet Vincent an den Trommeln, die mit vollem Sound und durchgängiger
Gleichmäßigkeit und in der Einheit mit den orientalischen Klängen der
Orgel in die arabische Klangwelt entführen. Mitch Ryder singt ungeheuer
emotional, engagiert und anklagend über Intoleranz und Ignoranz: „My
god’s better then your god“ – ein starker Titel! Sind für den „echten“ Blues
Größen wie Ray Charles, John Lee Hooker, B.B. King alleiniger Maßstab,
hat seine Aussage in „Ain’t Nobody White“ Berechtigung, kein
Weißer könne je den Blues singen. Sein Blues ist eher eine seelenvolle
Mixtur aus geradlinigem Rock, Funk, Reggae und Jazz ohne die Anleihen aus
Blues und Gospel zu leugnen. Und er singt ehrlich und ergreifend, kein
„Fisch im Champagner“! Die wütende, schreiende,
flehende, heulende, Stimme Mitch Ryders jagt Schauder über den Rücken,
lässt mitleiden, zieht hinein in Leid oder Leidenschaft. In „Heart
of Stone“ lässt sie keinen Zweifel daran, wie sehr er diese Liebe
braucht, von der er erzählt, nach der er wimmert und schreit. |
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„Freezin’ in Hell“
hält einmal mehr hervorragende Gitarrenimprovisationen von Heiner
Witte wie auch von Robert Gillespie bereit. Wittes klarer Sound
wird verzerrter. Er steigert sein Spiel unter Einsatz des Wimmerhakens in
wohlkontrollierte Bendings. Mitch erzählt voller Inbrunst seine Story,
schreit sie expressiv heraus und lässt uns erschaudern bevor Robert
seinen dreckig verzerrten Sound in einem nicht minder beeindruckenden Solo
zelebriert. In Ruhe und Gelassenheit, ohne
große Aktionen spielt Manne Pokrandt seinen vollen, knackigen
Bass, gibt den Titeln damit in angemessener Weise eine solide Basis und täuscht
geschickt über feinste Bassarbeit, kleine Triller und andere unauffällig
gezauberte Fills hinweg. Während sich die Band leise zurückzieht
improvisiert Boddi Bodag am Piano hinreißend über das Thema des
alten Schlagers „Die Liebe ist ein seltsames Spiel“. Robert
kehrt auf die Bühne zurück und es entspinnt sich ein bezauberndes Duett
zwischen Piano und Gitarre, das sich Stück für Stück von der Vorlage
des alten Schlagers löst und bei „Red Scare Eyes“ ankommt.
Mittlerweile ist auch die restliche Crew wieder an dem wunderbar
swingenden und groovenden Song beteiligt. Allerbeste Drum-Art lässt sich
dann noch ein weiteres Mal im Zugabenteil bei dem Doors-Titel „Soul
Kitchen“ bewundern. Vincent Brisach bietet die ganze Breite
guter Schlagzeugarbeit, feines Zisilieren an Becken und Hi-hat,
unmerkliche Steigerung der Intensität bis wieder das gesamte Drumset zum
Einsatz gebracht wird. Spannende Drum-Noises und wohl platzierte Fills die
zu einem feinen, spannungsreichen und ebenso druckvollen Spiel führen. Nach einem großartigen Konzert, das die Fans mit Pfeiffen und tosendem Applaus würdigen verabschiedet sich Mitch Ryder von der Bühne während die Band jammend die Musik ausklingen lässt. pepe weiterlesen unter: Feature - Mitch Ryder - Robert Gillespie
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