Startseite aktuelle Termine, Berichte, Infos Spezial - Interview - Stories - Hintergründe Berichte-Archiv Bands - Clubs - Veranstalter - Nützliches Impressum - E-Mail - Copyrightinfo

LE-Nightflight

Bericht

>Das Mittwochsfazit<

Manfred Maurenbrecher, Bov Bjerg, Horst Evers

Sonntag 28.09.2003, Moritzbastei, Leipzig

  

- > Manfred Maurenbrecher Interview

- > Manfred Maurenbrecher Bericht

 

Ein Jahr zuvor war er mit seinem Soloprogramm „Gegengift“ in der Moritzbastei zu Gast. Ein freundlicher kleiner Mann, ein tiefgründiger Beobachter, ein Geschichtenerzähler, der dem Publikum mit Liedern voller ungewöhnlicher Poesie und mit kleinen, lebensnahen Geschichten den Alltag, die eigenen Liebenswürdigkeiten und verrückten Macken vor Augen hielt.

Es ist bewegend, ihn bei Auftritten zu erleben. Im sichtbaren Gefühlsüberschwang kriecht er beim Spiel beinahe in sein Klavier hinein, trampelt mit dem linken Fuß den Takt, als wolle dieser sich unbedingt einmischen um zu sagen: „Jawohl, so ist das, so ist das!“, während Maurenbrecher mit vom Rauchen rau und tief gewordener Stimme seine Botschaften sendet. Die soll sich aber bitte jeder selbst rausfiltern. Er ist sich sicher: „Wenn es gut gelungen ist, irrt keiner so ganz ab.“ (Interview in der Zeitschrift ‚Notes’ 1999.) Der Blick seiner funkelnden Augen gibt das Gefühl, schon wieder scharf beobachtet und durchdrungen zu werden, noch im selben Moment, indem er eine seiner tiefsinnigen, nur scheinbar schlichten Alltagsstorys erzählt.

Es scheint, dass die Bühne und das Publikum für Manfred Maurenbrecher lebensnotwendig sind, dass er süchtig nach diesem Austausch ist. Diesen engen Kontakt zu den Menschen braucht und sucht er, um von anderen zu erfahren und diese Erfahrungen weiter zu vermitteln. Er ist aufgeschlossen, nahbar und doch alles andere als gefällig, angepasst und immer leicht zu durchschauen. Eher wahrscheinlich ist er so eigensinnig, wie sein „uraltes zerrissenes Hemd, das sich dem Fluss des Gegebenen entgegenstemmt“. Kategorien passen nicht auf ihn. In einer bestimmten Szene wird man ihn nicht finden. So kann man ihn offensichtlich nur an einer Stelle wirklich orten, in Manfred Maurenbrecher selbst, in seiner zuverlässigen, ehrlichen Person ohne Argwohn.

Wichtig war und ist für ihn die Bewegung, das Neue. So hat er sich nie auf eingefahrenen Gleisen, an bequemen Orten aufgehalten, hat ausprobiert, mit verschiedenen Künstlern sehr verschiedene Konzepte verfolgt. Im Duo mit Richard Wester gewann er 1992 den Deutschen Kleinkunstpreis für ein „außergewöhnliches Arrangement von Text und Musik, das in seiner verspielten Musikalität die zeitgenauen Texte treffend illustriert...“, wie die Jury befand. Ebenso erfolgreich (Deutscher Kabarett-Preis 2002) ist er seit 1996 im Trio mit Bov Bjerg und Horst Evers.

Die Wurzeln der Idee zur wöchentlichen kabarettistischen Lese-Show mit Musik „Mittwochsfazit“ gehen auf eine Lesebühnenszene zurück, die sich Anfang der Neunziger in Berlin etablierte. Bov Bjerg engagierte sich hier als Lesender und fragte Maurenbrecher, ob er Lust auf eine neu zu gründende Veranstaltung hätte. Ein Jahr lang war nun für jeden Sonntag ein neues Programm auf die Beine zu stellen. „Aus dieser Art von kreativer Schufterei hat sich später das ,Mittwochsfazit’ entwickelt. Seit 96 gibt es das in der bekannten Form: Jeden Mittwoch Auftritt, jeden Monat ein neues Programm.“ (Maurenbrecher im Interview mit dem ‚Folker’, 2003)

In diesem Jahr sind die drei Kollegen mit ihrem ‚Mittwochsfazit’ in die Moritzbastei gekommen – dem Prinzip folgend mit einem schrillen, dem Inhalt unangemessenen Programmtitel: „Dumm fickt gut – die Tragik der Hochbegabten“. Von Beginn an gehört es zum Konzept, mit provozierenden Titeln Aufsehen und Neugier zu erwecken, um dann ein Programm zu präsentieren, das mit dem Angekündigten nicht viel und schon gar nicht in der erwarteten Weise zu tun hat.

Lesen haben sie alle mal gelernt, versicherten sie. Und damit die Ausgaben des Staates hierfür nicht umsonst waren, beschäftigten sie sich eben auch heute noch damit. Im Mittwochsfazit wurde gelesen, vorgelesen, kleine, mal mehr, mal weniger bissige Geschichten zwischen Klamauk, Sarkasmus und Witz.

Bov Bjerg ließ dabei häufig seinen Erinnerungen an die Kindheit freien Lauf, wobei er auch von der Bedeutung der Maultaschen berichtete. „Freitags aß man ja kein Fleisch, das war klar, höchstens Fisch. Oder Maultaschen. Eine Erfindung, die es ermöglichte, wenigstens Hackfleisch zu essen, ohne dass der liebe Gott es sehen konnte.“ Im Dom zu Fulda war ihm das alles mal wieder eingefallen, auch dass seine bereits gefirmten und somit „im Handelsverkehr mit dem Teufel als voll geschäftsfähig“ geltenden Geschwister sich am Karfreitag ohne jeden Halt über den gesamten Inhalt des Kühlschrankes hermachten.

An anderer Stelle erfährt man sehr hübsch von den Machtkämpfen verschiedener Interessenverbände einer kleinen Gemeinde. Nach dem zweiten Todesopfer auf der Durchgangsstraße des Ortes (einer Katze namens „Katze“ und der alten, milchholenden Frau Kuhlmann) regte die CDU-Fraktion im Gemeinderat die Anschaffung einer Druckknopfampel an, „doch die Freie Wählergemeinschaft unter Führung des Apothekers Allmendinger betonte gegenüber den Vertretern der katholischen Soziallehre das Prinzip der Eigenverantwortung auch und gerade milchholender Landfrauen...“. Nach dem dritten Opfer jedoch, dem schwarzbunten Zuchtbullen Benno, erkannten auch die freien Wähler die Notwendigkeit zum Handeln. „Nachdem die freien Wähler keine Mehrheit fanden mit dem Vorschlag ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Weiß, Juniorchef des Tiefbauunternehmens Weiß & Söhne, eine Umgehungsstraße zu bauen, befürworteten auch sie die Anschaffung einer Lichtzeichenanlage, da sie, wie sie betonten, nicht länger gewillt waren, die Gefährdung des Eigentums der ansässigen Bauern durch den zunehmenden Kraftverkehr hinzunehmen.“

Horst Evers sieht seine „eigentliche Arbeit“ darin „das Erlebte zu pointieren und eine Dramaturgie hinein zu bringen.“ Inwieweit seine in Stade handelnde Verwechslungsstory tatsächlich selbst erlebt war? Er erzählte jedenfalls liebevoll von der Schönheit Niedersachsens, von der „Schönheit der völligen Ereignislosigkeit“ und davon, wie er gleich am Bahnhof vom Taxifahrer mit einem gewissen Heinz verwechselt wurde. Nun bekam die Geschichte Tempo und nahm einen grotesken Lauf.

Nachdem der Taxifahrer darauf bestanden hatte ‚Heinz’ kostenlos zu chauffieren und auch die Verkäuferin am Kiosk ‚wie immer’ anschrieb, sah er ein, dass es besser war, auch der von Heinz verlassenen Ehefrau nicht weiter zu widersprechen, sich in die neue Rolle zu fügen und Heinz zu sein.

Aufgelockert wurde das bunt gewürfelte Programm durch die wunderbaren, warmen, aufmunternden, nachdenklich stimmenden, tragischen, skurrilen Lieder Maurenbrechers. Die Tiefe von Glück und Leid entblätterte sich dabei immer nur vorsichtig und zeigte sich nur dem, der etwas anfangen konnte mit den Geschichten, die ihm von andrer Leute Freuden und Dramen erzählten. Denn die Wahrheiten traten nicht mit der Brechstange zu tage. Sie steckten wie bei den Lesetexten der drei zwischen Witz und überzeichneten Bildern.

pepe

weiterlesen Feature > Manfred Maurenbrecher Interview

weiterlesen Archive > Manfred Maurenbrecher Bericht

 

« oben

Copyright © le-nightflight.de

[Home] [Aktuell] [Feature] [Archiv] [Links] [Kontakt]