Er setzt sich und liest. Er steht auf und singt. Er setzt sich und liest. Er steht auf und singt. Er setzt sich und ... Ab und zu huschen im Hintergrund noch ein paar tonlose Dias und Filmausschnitte über die Leinwand. Mehr nicht.
Die Dramaturgie mit der Wolfgang Niedecken die erste Autobiographie Bob Dylans auf der Bühne des Schauspielhauses Leipzig präsentiert, kommt auf den ersten Blick etwas eintönig daher. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn nach gut zwei Stunden wird klar, wie man mit Schlichtheit auch heutzutage noch ein intensives Erlebnis schaffen kann.
An diesem Abend ist für Ausgelassenheit kaum Platz. Hier herrscht Tiefgründigkeit. Der proppevolle Saal lauscht still, verfolgt jede gesungene und gelesene Dylan-Zeile ehrfürchtig. Nur beim Applaus entlädt sich ein kurzer Moment von Emotionen. Dann lächelt auch Niedecken kurz, um gleich wieder in die Ernsthaftigkeit seiner Rolle zu schlüpfen.
Der Verlag Hoffmann & Campe hätte keinen Besseren als den BAP-Frontmann für sein Hörbuch "Bob Dylan - Chronicles 1" gewinnen können. Das passt. Niedecken braucht sich gar nicht viel Mühe geben, diesem Dylan nahe zu kommen. Denn er ist ihm längst nahe: "Bob Dylan war für mich wie ein Urknall. ... Ohne Bob Dylan wäre mein Leben anders verlaufen. Ich wäre wohl nie Musiker geworden."
Die Episoden die Niedecken aus Dylans Lebenslauf liest, sind klug gewählt. Zwar kurze Passagen meist, aber sie geben eine Menge preis und räumen mit ein paar Mythen um den "Meister" auf. Wir hören von Dylans Suche nach einem passenden Künstlernamen. Wir hören von seinem ersten Besuch bei den Plattenbossen von Columbia Records und von den kleinen Lügen, die er den PR-Leuten auftischt, weil sie die Storys um einen querköpfigen Singer/Songwriter genau so verstehen wollen. Wir hören von Dylan als Familienmensch und seiner Flucht vor der penetranten Öffentlichkeit, die ihn in den amerikanischen Sechszigern unbedingt zum Revolutionsführer hochstilisieren will. Zitat: "Ich habe mich nie größer gemacht als ich bin. Ich war nur ein Folksänger."
Zwischen den Begebenheiten nimmt Niedecken die Instrumente zur Hand und spielt s e i n e Interpretationen Dylanschen Liedgutes. Es klingt nicht wie einstudiert. Eher so, als ob Niedecken diese Songs seit Jahren mit sich herum trägt und nun endlich einem Publikum feilbieten kann. Die Gitarre lässig-locker. Die "Mundi" sauberer und weniger quietschig als der originale Dylan. Der englische Gesang hat einen Kölschen Dialekt.
Niedecken verzichtet bewusst auf die Lagerfeuer-Hits. Er hat die Songs mitgebracht, die ihm persönlich wichtig sind. Das Album "Oh Mercy" scheint es ihm dabei besonders angetan zu haben. Dem Abschnitt über die 1989er Produktion in den Studios von Daniel Lanois in New Orleans (ein wunderbarer Einblick in den zerrissenen Musiker Dylan) widmet Niedecken mehr Vorlesezeit und gleich vier Stücke hat er aus dem Album ins Programm genommen: Das sanfte "Where Teardrops Fall", das ungestüme "Political World", das düstere "Man In The Long Black Coat" und das fragende "What Good Am I?"
In der Zugabe kommt dann der Ausgangspunkt Niedeckens Beziehung zu Bob Dylan: "Like A Rolling Stone". Und endlich sagt er auch etwas Persönliches und verabschiedet sich mit "Sara" in die Leipziger Buchmesse-Nacht. Wie sagte am Anfang der Verlagsvertreter von Hoffmann & Campe: "Die Welt teilt sich - außer den Ignoranten - in Dylan-Fans und Dylan-Freunde." Beide Parteien dürften nach diesem Abend wieder mehr Mitglieder haben.
jochn
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