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LE-Nightflight

Bericht

ex.ces

Featuring Jens-Paul Wollenberg

07. Juli 2005

Moritzbastei, Leipzig

Jens-Paul Wollenberg


Immer schon reizte Jens Paul Wollenberg das Groteske, das Zwiespältige, Verruchte und Verkommene. 2005 entdeckt er endlich seine Wesensverwandtschaft mit dem gebildeten Gauner François Villon und singt dessen Ferse wie aus dem eigenen Leben, schmerzhaft, lustvoll, sarkastisch, zärtlich.

Mit noch eigenen Texten sowie zwei Bearbeitungen von Texten Louis Aragons und Eugéne Pottiers entstand ein Ensemble aus 11 mittelalterlichen bzw. sprachlich mittelalterlich anmutenden Stücken, die jetzt auf dem Album „Zahn um Zahn“ veröffentlicht wurden. Für dieses Projekt gründete Jens Paul Wollenberg mit vier Leipziger Musikern (Mitgliedern der Formation ‚Chelesta’) ‚ex.ces’ und stellte die scharfsinnigen und hintertriebenen Lieder in der Moritzbastei vor.

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Jens-Paul Wollenberg & ex.cess
Von Wesensverwandtschaft mit Villon spricht man derzeit. Wollenberg als krimineller Vagabund, der nicht nur einige Mädchen sondern auch ein paar Morde auf dem Gewissen hat oder zumindest haben könnte? Nichts anderes war François Villon im Frankreich des 15. Jahrhunderts. Ein verfolgter, mehrfach zum Tode verurteilter und nur durch Begnadigung dem Galgen entgangener Gauner. Gebildet und scharfsinnig war er allerdings auch. Und an dieser Stelle und an beider Hang zum Sarkasmus zeigt sich wohl am ehesten die Wesensverwandtschaft. Wobei - „Das Auftreten und Verhalten“ seiner Formation ‚Quitilinga’ wurde von den damaligen Beobachtern in der DDR „wie folgt eingeschätzt: Insgesamt hinterlässt diese Gruppierung einen schmutzigen und ungepflegten Eindruck, um nicht zu sagen einen schweinehaften Eindruck.“ Und den Kulturbehörden war die Truppe so ungeheuer, dass sie ‚Quitilinga’ 1980 verboten.
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Jens-Paul Wollenberg & ex.cess

Wie auch immer, die Glaubwürdigkeit der Interpretationen gewährleistete der Schauspieler und Chansonnier durch sein starkes Charisma. Wollenberg mimte den alten, lüsternen Gauner. Und unwohl schien er sich in dieser Rolle nicht zu fühlen. Auch sind ihm ähnliche Rollen nicht fremd. Beschäftigt er sich doch seit Jahrzehnten mit grotesken Situationen, ungewöhnlichen Gestalten und gescheiterten Existenzen. Mit schwarzem Humor interpretierte er begleitet von ‚Pojechaly’ balladenhafte Gesänge, die sich mit den tiefsten Abgründen der menschlichen Seele zwischen Lebensfreude und Melancholie, Suff, Frust und Mord auseinander setzten. Die „Geschichte vom einsamen Selb“ erzählt von surrealen, unterbewussten Begegnungen mit dem Ich. Bertolt Brechts „Baal“ las er in der Fassung von Achim Richter. Dieser Baal nimmt sich Dinge wie Menschen rücksichtslos und richtet gerade die, die ihn lieben dabei ohne Bedenken zu Grunde.

Die Tonne war vom Publikum gut gefüllt. Die Musiker begannen mit einem ausgelassenen Instrumental, der mit Druck nach vorn ging. Doch die Harmonien verdunkelten sich, wurden bedrohlich, die Melodie schwer. Und nun trat diese schwarze Gestalt heran. Der Pulsschlag änderte die Frequenz. Was würde passieren?

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Jens-Paul Wollenberg
Wollenbergs Darstellungs- und Interpretationskraft, seine starke Gesangsstimme, die sich in jeder satten Rockformation durchsetzen würde, machte den Abend, an dem nicht einfach mittelalterliche Texte interpretiert, sondern ein höchst aktuelles Spiegelbild gesellschaftlicher Phänomene vorgehalten wurde, zum spannenden Ereignis. Übersteigerte, pathetische Deklamationen und altmodische sprachliche Wendungen ließen zunächst annehmen, die Geschichten handelten von längst vergangenen Zeiten. Doch wir dürfen gern etwas genauer hinhören, denn Zeitgenossen sind gemeint, wenn die Rede von den Reichen ist, die weiter fest in den Chef-Etagen sitzen und sich die fetten Gagen sichern, oder von dem Bastard, dem vom Leben ausgesetzten Bruchpiloten, den die viel zu junge und schon verbrauchte Mutter in eine Babyklappe legte, von Asylantenschiebern, von der Intendanz im Medienfieber, von Bonzenbrut und Schreibtischtätern und deren Wohlstandsmüll, den der Sänger ihnen in ihre Wohlstandsfressen stopfen lassen möchte. Drastisch ist die Ausdrucksweise schon. Mancher mag es als vulgär empfinden. Aber es geht in den Liedern auch tatsächlich selten um schöne Dinge, die man entspannt genießen könnte. Doch bei aller Wut und Bitterkeit, bei allem Sarkasmus und auch bei allem Egoismus und Selbstmitleid, die erzählende Gestalt wird nachdenklich, liebevoll, zärtlich angesichts der unschuldigen Schönheit seines blassen abendlichen Weibes oder der Hilflosigkeit kleiner, nackter, blinder Mäusebabys, denen er in seiner warmen Hand Schutz gab.
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ex.cess - Daniel Jack Wolf ex.cess - Michael Glucharen

Zur Band gehörten Mike Meyer an Tuba, Bass und Gesang, Michael Glucharen (Trompete, Posaune, Piano, Gesang), Daniel Wolf (Drums, Percussion, Piano, Gesang) und Birgit Fleischfresser am Akkordeon, Piano, Percussion und Gesang. Sie ließen jeden Musikstil vom mittelalterlichen Lied, Folk über den Jazz, Klezmer bis hin zum Rock zu einer wilden Melange verschmelzen und unterstützten adäquat die Dramatik der Textinhalte. Tango klang an, als der verlorene Bastard abhob „in höh’ren Sphären als Dealer, Zuhälterprophet“ Mit selbem Stolz wird weiter gesungen „Bevor sie dich geboren, war schon eins gewiss, man hat dich auserkoren als allerletzten Schiss.“ Die Stimmungen wechseln, zwischen Wut, Melancholie, Zynismus, Zärtlichkeit, Verzweiflung... - die ganze Palette der Befindlichkeiten einer vom Leben gegerbten Kreatur. Und Ex.ces finden in der Vielfalt der Musikstile immer die passenden Anleihen. Vergleichen kann man diese Band, diese Musik nicht, alles schon da – aber so instrumentalisiert und treffsicher eingesetzt bleibt es unvergleichlich und ein musikalisches wie intellektuelles Erlebnis der besonderen Art.

 

pepe

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Jens-Paul Wollenberg & ex.cess

Demnächst ist Jens-Paul Wollenberg beim Gohliser Schlösschen Fest am 03.09.05 als Gegenspieler zum Jungen Schiller rezitierend und spielend zu erleben.

Kaufen kann man die CD 'Zahn um Zahn' ab Juni über die Webseite der Band:

www.ex-ces.de / www.raumer-records.de

oder bei Underground www.underground-leipzig.de

Zschochersche Str. 55, 04229 Leipzig.

weiter lesen:

> Ankündigung - Record Release

> Wollenberg - Lesung zum 'einsamen Selb' am 25.09.2003

 

ex.cess - Mike Meyer

 

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