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LE-Nightflight

Bericht

TempEau

15.09.2005

UT Connewitz, Leipzig

TempEau
 
Die schönsten Dinge im Leben kosten fast kein Geld. Doch leider verliert man die Fähigkeit, sie zu sehen und zu lieben, mit dem Alter und den finanziellen Möglichkeiten. Wär’s nicht so, wäre man ein Leben lang wirklich jung, frei und reich.

Wenn man nun als erwachsener Mensch in ein altes Kino gehen und statt der blätternden Farbe den Charme vergangener Zeiten entdecken könnte, den Atem der Geschichte spüren würde, wüsste man vielleicht, welche Bedeutung es hat, einen Ort wie das UT Connewitz zu erhalten. Oder hätte man die Geduld, sich liebevoll gedrehte Kurzgeschichten anzusehen, Low-Fi Produktionen, für 99 € mit MiniDV-Kamera gedreht, das Augenmerk dabei auf Situationen und Charaktere abgestellt, anstatt auf große plakative Wirkung und Marketingstrategien, würde man vielleicht wirklich etwas vom Leben, von Menschen erfahren. Und könnte man sich noch mit der Klampfe unbefangen auf die Bühne stellen und wie ein Teenager losdreschen, dreckig, laut, unverbraucht... Am Donnerstag im UTC ist all das gelungen. Es war im wahrsten Sinne wundervoll.

TempEau

Zunächst wurden 79 min lang Kurzfilme gezeigt, die auf Initiative des Regisseurs und Schauspielers RP Kahl und unter der Regie von Nicolette Krebitz und Peter Lohmeyer entstanden waren. Gerade dieser Minimalismus gepaart mit der Unabhängigkeit und künstlerischen Freiheit erlaubte junge, frische Filme, die provozierend anders sind aber schauspielerisch wie drehtechnisch mit großer Spannung und Originalität. Danach gab’s Musik, live von drei der Filmhelden, die zuvor auf Leinwand zu sehen waren.
Laut schrammeln sie los, prügeln sie ihre Instrumente, kraftvoll und mit der Energie, Sorglosigkeit und Begeisterung, die eben nur den ganz jungen Bands vorbehalten ist. Sie freuen sich, als hätten sie sich gerade auf den Weg gemacht, um ihre ersten Erfolge zu feiern, bei den regionalen Vorausscheiden zu diversen Bandwettbewerben zum Beispiel. Die handvoll Fans, zum größten Teil begeisterte Schulfreunde und ein paar verliebte Mädchen, geben das Gefühl, unschlagbar zu sein. Es ist lauter Punkrock, den sie mit der Wut und Überzeugung der Rebellen im Teenageralter abziehen. Und bekanntlich kommt es da nicht auf hochtrabende Arrangements und verblüffende Gitarrenarbeit an.

Daran gemessen sind sie richtig gut, machen sie eine geile, abgefahrene Mugge, die einem die Ohren wegbläst. Gute Chancen hätten sie, beim jährlich stattfindenden Courage-Jugendfestival das Endfinale zu erreichen. Das eigentlich Bemerkenswerte ist aber, alle haben sie altersmäßig die Dreißigergrenze längst überschritten, ihren Ruhm auf ganz großen Bühnen längst geerntet.

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Wie kommt der begnadete Rocksänger Jan Plewka auf die Idee, in einer Newcomer-Band simple Gitarrenparts zu übernehmen? Warum besetzt der Schauspieler Marek Harloff an Bass und Gesang die Frontmann-Position? Es sind alte Schulfreunde, die sich nach 25 Jahren wiedertrafen. Das erklärt viel, auch das scheinbar Irrationale. Aber was, um alles in der Welt bewegt den Schlagzeug-Crack Stephan (Stoppel) Eggert dazu, bei diesem Projekt, dass tatsächlich auf die deutschen Bühnen gebracht wird, seine Künste beizusteuern? Weil sie Spaß dran haben? Das gibt’s doch bestenfalls im Film!
Richtig! Aber auch wieder nicht. Das gibt es im Film. Aber aus Film ist Ernst geworden. Oder in diesem Fall müsste man sagen, aus Ernst ist Spaß geworden. Und weil das so ist, sie Spaß daran gefunden haben, und dabei irgendwie auch ein Stück sich selbst wiedergefunden haben, gibt es diese ursprüngliche Filmband nun auch im richtigen Leben.

Und nun noch ganz schnell die Geschichte. Die einstigen Schulfreunde Marek und Jan, die 1979 ihre Band ‚Matsch’ gründeten und sich 1982 entzweiten, verloren sich aus den Augen. Der eine wurde Sänger in der umjubelten Band ‚Selig’, der andere ein erfolgreicher Schauspieler. 2003 sucht Max Herre einen Couch und Filmband-Partner für Marek Harloff, der im Filmprojekt mit dem Arbeitstitel „Blackout“ einen Rocksänger spielen soll und ruft daher bei Jan Plewka an. Schicksal oder eine gut arrangierte Story? Ist eigentlich egal. Denn das Ergebnis ist überzeugend – eine frische, unkonventionelle Band die sichtbar, spürbar viel Freude und Abenteurlust auf die Bühne bringt. Nun erklärt sich von selbst, dass Jans Selig- und Zinoba-Kollege Stoppel nicht ablehnen konnte, an so einem Projekt teilzunehmen. Denn welch ein Geschenk, noch mal in die Jugendträume abtauchen zu dürfen, alles noch mal von vorn beginnen zu können!

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Zu bedauern war im UT Connewitz nur eins. Der Lautstärkepegel war so hoch, dass man keine Chance hatte, die tiefgründigen deutschen Plewka-Texte zu verstehen. Das ist schade, da sie es Wert sind, verstanden zu werden. Wieder mal erreicht er sprachlich und inhaltlich gewohnte Qualitäten, spielt mit Bildern und berührt. „Das was jetzt nicht gesagt wird surrt herum wie eine Fliege. Doch genau in dieser Stille liegt der Schlüssel. Charmante Sekunden.“ Ist der Beginn einer romantischen Liebeserklärung. „Wenn ich’s dir noch sagen könnte, das schönste in meinem Leben war gerade eben gewesen.“ Hier beginnt die Geschichte weh zu tun. Die Botschaft wird die gemeinte Person nicht mehr erreichen. Denn „Aus diesen Augen sah ich dich das letzte Mal.“ („Oktobertag“)

Diese gefühlvollen oder die zeitkritischen Texte kann man aber sehr viel besser auf dem Album „TempEau“ nachvollziehen. Recht getan haben daher alle, die der charmanten Verkaufsveranstaltung nicht widerstehen konnten. Marek ließ das liebe Häschen raten was er hinter seinem Rücken versteckt hatte. Doch das Häschen kam nicht drauf, bat er solle es doch nicht so auf die Folter spannen. Eine crazy CD mit 12 crazy Songs zum crazy Preis von nicht 8, nicht 7, nein 6 € hatte er hinter seinem Rücken versteckt! Die CD und noch einige Fan-Artikel konnte man auf dem ‚Flokati’, dem ausgelegten Fusselteppich erwerben. Crazy!

Crazy auch war der Dress von Marek und Jan. Wie zarte Elevinnen im Ballettkleidchen hatten sie zu Beginn die Bühne betreten. Diese Masche zogen sie durch bis zum Schluss. Der morbide Charme des 1912 errichteten Kinos, dessen Zustand den Eindruck macht, als bröckelte hier die Original-Farbe von vor hundert Jahren, passte auf den Punkt.
 
pepe

TempEau

 

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