Ulla Meinecke
Montag, 18. November 2002,
Lindenfels, Leipzig

Was kann uns nicht alles schrecklichen Ärger und Kummer bereiten, uns zerknirschen bis wir uns so richtig unserer Missstimmung ergeben haben, bis wir vor Selbstmitleid vergehen, nur noch auf sämtliche misslichen Umstände fluchend unsere eigenen Wunden lecken. Was wir dann nötig haben, ist ganz bestimmt niemand, der uns bedauert, der uns noch bestätigt, wie schlecht es uns geht, sondern jemand, der offenbar jede Misere schon kennt. So eine kluge, warmherzige, mütterliche Frau, tatkräftig und ebenso einfühlsam, optimistisch und humorvoll wie skeptisch und schlau. So eine, die uns den guten Rat gibt, keinen Karren voller Hass hinter uns herzuziehen. Die uns in einer nasskalten Novembernacht erklärt, wie spannend das Leben und die Menschen sind, auch wenn man an Letzteren schon manchmal verzweifeln könnte.

Ulla Meinecke ist genau so eine Frau der man alles abnimmt, der man gern und bereitwillig zuhört, von der man sich einige Lektionen erteilen lässt. Sie hat es wieder im Handumdrehen geschafft, ihr Publikum mit ihrer beeindruckenden, unter die Haut gehenden Stimme und ihren scharfsinnigen wie nachdenklichen Texten für sich einzunehmen, die Gefühle zwischen Weinen und Lachen vibrieren zu lassen.

Einmal mehr war ihr Konzert ein gutes und gut tuendes Erlebnis. Mit Reinmar Henschke (Flügel, Synthesizer), Ingo York (Bass, Semiakustikgitarre) und Leemann (Gitarre, Akustikgitarre, Banjo, Vocal) stellte sie ihr 2002 erschienenes Album „Die Luft ist rein“ in der Schaubühne Lindenfels vor. Die neuen Songs beweisen vor allem die Stetigkeit und Zuverlässigkeit einer Künstlerin, die sich seit mehr als zwanzig Jahren erfolgreich in der Musikszene behauptet und dabei sich und ihrem Publikum immer treu blieb.

Auf diese Weise mischen sich die neuen Songs harmonisch mit ihren alten Klassikern. Sie erzählt von ihren Lebenserfahrungen, ehrlich, sehr persönlich und doch allgemeingültig genug, um nicht in Richtung Kitsch oder Selbstdarstellung abzurutschen. Glaubwürdig und nachvollziehbar sind ihre Geschichten, mit denen sie ihr Publikum anspricht, mit denen sie es meint und berührt.

Ruhig, verträumt leiteten die Instrumentalisten den Abend ein. Behutsam, leise mit luftigen, fast sphärisch anmutenden Klängen verloren sich Gitarre und Bass im Zweierspiel. Dann kam sie. Und es passte ganz zu ihrer ursprünglichen Natürlichkeit, dass sie ihre Schuhe auszog, um mit ihnen den Break zu setzen, den Takt zu schlagen und die Show fortan zu übernehmen. „Schlendern ist Luxus“ und man hörte schon bei diesen ersten Takten, welchen Genuss es bereitet.

In der Folge wurde innerhalb der schmalen Besetzung noch häufig variiert, griff Ingo York, der außerordentliche Solo- wie Begleitqualitäten am Elektrobass zeigte, auch zur Akustikgitarre, sang Leemann mit Ulla Meinecke im Duett oder als Background, wurde das Bruce Hornsby Cover „Das war schon immer so“ von ihrem achten Album „Löwen“ liedhaft nur mit Begleitung von Reinmar Henschke vorgetragen. Immer kam die vielseitige und in allen Facetten perfekte Stimme der Sängerin voll zur Geltung, war die Begleitung auf ihren Vortrag abgestimmt. Schön, miterleben zu können, wie freundschaftlich und achtungsvoll das eingespielte Team excellenter Musiker miteinander umging. Den Pianisten und die Sängerin verbindet bereits seit vielen Jahren eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Mit ihm feierte sie knapp sechs Jahre zuvor die Premiere ihres Programms „Songs und mehr“, ebenfalls im Lindenfels.

Die „Grande Dame der deutschen Rockmusik“ (so war es treffend in der Vorankündigung der Schaubühne Lindenfels zu lesen), die mit zehn Jahren ihre erste Gitarre geschenkt bekam und als Teenagerin damit begann, sich in Poesie und Erzählungen auszudrücken, scheint seither von und für die Musik, ihre Texte und ihr Publikum zu leben. Fleißig und beständig auf hohem Niveau arbeitet sie seither für ihre Kunst, wagt Neues und sucht immer wieder die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Ihre Vielseitigkeit lässt sie in jeder Rolle bestehen, mal mit eigener Band und damit auch rockiger, mal in eher chansonhaften Programmen mit kleinerer Besetzung. Zu ihren Weggefährten gehören unter anderem Udo Lindenberg, Uwe Arndt, Herwig Mitteregger, Rio Reiser, Edo Zanki und natürlich Reinmar Henschke. In der Zusammenarbeit mit diesen Künstlern sind etliche Alben entstanden. Als ein Meilenstein ihres Schaffens ist wohl das 1983 erschienene fünfte Album „Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig“ zu betrachten. Ihre tiefgehende Texte mit außergewöhnlicher Poesie und Bildhaftigkeit, die immer Momentaufnehmen des Erlebten sind, aber Schlüsselszenen beschreiben, verschmelzen hier ideal mit Kompositionen von zumeist Herwig Mitteregger und Edo Zanki. Das Arrangement einer Rockband ist besonders gut geeignet, die Energie der Titel umzusetzen. Sie traf damals nicht nur den Zeitgeist sondern mit bleibenden Folgen auch mitten ins Herz ihres Publikums. So ist es zu begründen, dass ihre Fans fast zwanzig Jahre später mit nostalgischer Schwermut gerade an Songs wie „Die Tänzerin“ oder „Feuer unterm Eis“ hängen.

Die Texte ihrer neuesten Scheibe sind nicht weniger hintergründig, teilweise direkter und manchmal auch etwas holpriger. Auf jedenfall sind sie ebenso liebenswürdig und ebenso aus dem „Süden der Seele“ einer großartigen Frau, die hoffentlich noch lange nicht müde wird, die kleinen Bühnen des Landes zu suchen um uns nahe und sehr persönlich ihre wunderbaren, manchmal auch wunderbar verzwickten Geschichten aus einer wunderbaren und verzwickten Welt zu erzählen.

pepe