26. Leipziger Jazztage
26.-29.09.2002,
Leipzig

Drei Abende in der Oper Leipzig

Die 26. Leipziger Jazztage mit eigenwilligem Konzept.  

Schon der erste Abend bot überraschende Kontraste.

Eröffnet wurde von der Saxophonlegende Charlie Mariano im Duett mit dem argentinischen Gitarristen Quinque Sinesi. Ihr Repertoire führte die Zuhörer über den südamerikanischen Kontinent; argentinischer Tango, brasilianischer Samba und indianische Einflüsse wurden gekonnt mit Jazzimprovisation verbunden. Leider vergaßen die Beiden wohl ein wenig ihr Publikum, Ansagen gab es keine und die von der Zuhörerschaft geforderte Zugabe blieb auch aus.

Im Gegensatz zu diesem musikalischen Wohlklang bot das Chris Cutler Projekt wohl eher ein Massaker. Aber bei der Vorgabe seines für diese Jazztage entwickelten Projekts konnte auch keine  musikalische Schönmalerei  erwartet werden. „ Die globalen Konflikte  und das Leben in einer gefährdeten Welt“, so das Thema.  Der englische Komponist und Schlagzeuger Chris Cutler erarbeitete daraus mit seinen vier Musikerinnen aus den USA und dem serbischen Pianisten Stevan Tickmayer eine einstündige Klangcollage. Ein verwirrendes Wechselspiel aus Balkanklängen, neuer Musik und englischem Artrock versehen mit Texten, die Cutler unter dem Eindruck des Kossovo-Krieges geschrieben hatte. Das Publikum reagierte gespalten, während die meisten diesen interessanten aber auch schmerzhaften Ansatz zu würdigen wußten, verließen doch einige unter Protest und Türenknallen den Saal.

Den Abend beschloßen die „European-American Jazz Stars“ Bob Malach, Saxophon; Michal Urbaniak, Violine; Jasper van´t Hof, Piano/Keyboards und Alphonse Mouzon, Schlagzeug. Trotz der überaus überzeugenden Leistung der vier Ausnahmemusiker blieb doch der Verzicht auf einen Bassisten bei dieser sehr fusionorientierten Musik unklar. So war für Jasper van`t Hof die Rolle des Keyboardbassisten  seinem eigenem Solospiel oft hinderlich.  

Positiv fiel auf, dass die beiden Europäer van´t Hof und Urbaniak die musikalische Richtung angaben. So kam es, dass auch mal der  Funk-Fusion Drummer Mouzon eine Komposition Urbaniaks im Walzertakt begleiten musste.

Der zweite Abend begann mit dem Richie Beirach Quartet. Der New Yorker und Neuleipziger Pianist Beirach  holte zu seinem schon auf zwei CDs bewährtem Trio mit Gregor Hübner, Violine und George Mraz, Kontrabaß, den New Yorker Schlagzeuger Adam Nussbaum. Es erklangen Bearbeitungen Beirachs von  Bela Bartok, Frederico Mompou und J.S. Bach. Diese Klassikbearbeitungen zeigten die Stil- und Geschmacksicherheit, mit der Beirach mit solchen Vorlagen umzugehen weiß. Aber auch der reine Jazz wurde zelebriert in Stücken wie Footprints von Wayne Shorter. Ein Höhepunkt des Konzerts war sicherlich Richie Beirachs Neukomposition „ Steel Prayer“ , seine Reflektion auf den 11.September 2001.  

Der nächste Programmpunkt war leider eine Enttäuschung. Der angekündigte italienische Trompeter Paolo Fresu mußte leider krankheitsbedingt kurzfristig absagen, so traten von seinem Trio nur der Pianist und Akkordeonist Antonnelo Salis und der Bassist Furio di Castri verstärkt von einem jungen Posaunisten auf.

Dieser Konzertblock  wurde so eher zu einer schlecht abgesprochenen Session. Da hätte man lieber Richie Beirach länger gelauscht.

Auch der letzte Teil des zweiten Abends war zwiespältig. Das für die Jazztage zusammengestellte Trio um den Bulgaren Teodosii Spassov verharrte zu oft in modaler Improvisation.  Der Virtuose auf der bulgarischen Flöte Kaval traf auf  den Oregonbassisten Glen Moore und Mino Cinelu, Miles Davis erprobter Percussionist. Doch dieses Weltmusikprojekt wollte nicht richtig funktionieren, da wohl die Welten dieser Musiker zu wenig Berührungspunkte bieten. Kenner der Folklore wissen, welche Besonderheiten gerade die bulgarische Volksmusik aufweist.

Trotzdem war es eine Freude, diesen außergewöhnlichen Flötisten kennengelernt zu haben, in der Hoffnung, ihn mal mit eigenem Ensemble zu hören. 

Funky begann der dritte Abend. Shank, eine Berliner Band um den Bassisten Andreas Avocado beschreibt ihre Musik selbst als DJ-Musik ohne DJ. Was dann klingt ist nicht unbedingt neu aber originell. Der Mythos Miles Davis hat wohl auch in der experimentellen Dance-Music schon alles vorgedacht, aber die sechs Musiker von Shank wissen damit umzugehen. Schwirrende Klangcollagen entwickeln sich unmerklich zu erdigen Grooves. Songs fließen ineinander,  so entsteht über eine Stunde ein durchgehendes Shank-Universum.  
Als zweites folgt an diesem letzten Abend in der Oper  das Duo Wolfgang Muthspiel, Gitarre, und Rebekka Bakken, Gesang. Der Auftritt des Österreichers und der Norwegerin war für mich der Höhepunkt der Jazztage.  Mit durchweg eigenen Kompositionen und Bearbeitung eines norwegischen Volkslied gelingt es den beiden die Zuhörerschaft zu fesseln. In ihren Liedern werden europäische Volksmusik, Klassik, amerikanische Folklore und Jazz zu einem eigenen Stil aufbereitet, sogar die Barockoper blitzt mal durch. Muthspiel erweist sich als hochvirtuoser und geschmackvoller Partner Rebekka Bakkens, die technisch locker über drei Oktaven brilliert und in ihrem musikalischen Ausdruck eine ganz eigene Form findet. 

Den Schlußpunkt der Jazztage setzte dann der Saxophoncollosus David Murray mit seinem Quartett. Während man bei Muthspiel/Bakken eine sehr europäisch weiße Interpretation des Jazz hörte, dominierte jetzt das Afroamerikanische. Murray machte schon im ersten Stück klar , wohin die Reise geht. Rhythmik, kraftvoller Ausdruck vor jedem harmonischem Zwang. Nach unglaublichen Klangkaskaden in höchste Flageolletregister auf dem Tenorsaxophon zeigtet uns doch Murray seine lyrische Seite mit seinem warmen Ton auf der Baßklarinette.  

Resümierend auf diese drei Tage bleibt der Eindruck, daß drei Programmpunkte pro Abend große Anforderungen an die Konzentration der Zuhörer stellt. Bei der Beschränkung auf zwei Konzertblöcke hätte sowohl der Künstler mehr Spielraum in seiner zeitlichen Gestaltung als würde es auch dem angespannten Etat eine Entlastung bringen.

Matthias Buchholz