Jazzkantine
Samstag, 14. September 2002,
Moritzbastei, Leipzig

Man weiß ja nie so ganz genau, wer denn gerade zur ‚Jazzkantine’ gehört, möglich ist fast alles. Das Projekt lebt von der Veränderung und ist gerade daher seit fast zehn Jahren immer noch jung. Als fünf Musiker die Bühne betraten und unter großem Jubel begannen, Musik zu machen, war es auch nicht verwunderlich, dass eine Soulnummer nach der anderen folgte, nicht wenigstens Ansatzweise der Hip-Hop anklang. Die rappelvolle Tonne pfiff und tobte und dankte der Sängerin, die sich mit Leib und Seele zu verausgaben schien, ihren Einsatz mit tosendem Applaus.

Charlemaine war deutlich überrascht, glücklich und aufgekratzt wie ein Kind und wirkte beinahe etwas verwundert über die Ehre, die ihr durch das begeisterte Publikum zuteil wurde. Angestachelt von so großem Beifall legte sie sich immer mehr in’s Zeug. In ihre starke und flexible Stimme packte sie ihre ganze Seele, ging scheinbar an die Grenzen ihrer Kräfte, bog und wand sich zu den Soul-Titeln, die zumeist in Zusammenarbeit mit ihrem Lebenspartner Peter Ries entstanden sind, umarmte mit ihrem Strahlen ihr Publikum und hatte bei all dem noch Zeit, sehr medienfreundlich den anwesenden Fotografen schöne Gelegenheiten zu bieten. Sichtlich Spaß hatte sie bei dem nicht enden wollenden „Stay a little bit longer“, wobei sie fast ein bisschen rumalberte und noch mal alle Register ihrer stimmlichen Qualitäten zog. Tina Turner hätte hier nicht brillanter glänzen können. Gesanglich stand ihr Charlemaine ohnehin nicht nach.

Rainer Scheithauer an den Keys, Mick Woll an der Gitarre, Drummer Flo Dauner und Bassist Wolfgang Harling machten in größter Bescheidenheit und höchster Professionalität ihren Job. Ohne sich je in den Vordergrund zu spielen, sahen sie ihre Aufgabe in der Begleitung und Unterstützung der Lady. Alleine ihr überließen sie die Show. Gerade das machte ihre Klasse deutlich. Die hervorragenden Musiker zeigten selbst hohes Können, jazzten und brillierten in Solis. Und schon ewig muss es hersein, dass in der ‚mb’ ein solcher Funky Sound zu hören war.

Nach etwa dreißig Minuten beendeten sie ihr Konzert und schockierten für einen Moment die Massen. Bis dann hier und da die Erkenntnis aufstieg, „Ach dann haben die doch ‚ne Vorband mit.“ Nach Soviel Verausgabung gerade auch von Seiten des Publikums musste man nun tatsächlich darum bangen, ob ‚Jazzkantine’ diese Stimmung und Begeisterung noch toppen könnte.

... und es ging! Es ging noch großartiger. Es ging noch stimmungsvoller, noch tobender! „Futter für die Seele“, das neue Album wurde auf dieser Tournee supported. Es ist in Zusammenarbeit mit der Bigband des Hessischen Rundfunkes entstanden, wobei erstmalig konsequent auf den Einsatz von Rap und Hip Hop verzichtet wurde. Man setzte diesmal auf Soul und Jazz, engagierte Soul- und Jazzinterpreten aus der deutschen Szene. Zum Lineup der Platte gehören neben den bekannten Jazzkantine-Stimmen Cappuccino und Tachiles diesmal Charlemaine, Edo Zanki, Gim, Laith Al Deen, Sam Leigh Brown, Volcan Baydar, Rolf Stahlhofen und Ole Soul. Auf ihren Tour-Dates sind Jazzkantine allerdings sehr variabel. Kein Konzert ist gleich dem anderen. Die Besetzung ist so flexibel wie die Titelliste. Auf Cappuccino und Tachiles mussten wir in Leipzig zum Glück aber nicht verzichten, genauso wenig wie auf die geliebten alten Nummern wie „Das Jazzhaus“, „55555“ oder „Ich mach dich Krankenhaus“.

Jazzkantine waren an diesem Abend Tom Bennecke (Gitarre), Dirk Erchinger (Drums), Jan-Heie Erchinger (Key), Christian Eitner (Bass), York (Sax/Querflöte) Air Knee (DJ), Cappuccino (Voc), Tachiles (Voc), Sam Leigh Brown (Voc) und Charlemaine (Voc). Eine Fusion hervorragender Künstler, die sich in bester Weise ergänzten und gegenseitig zu großartigen Leistungen anstachelten. Sie boten eine regelrechte Jam-Session, schwenkten vom Soul zum Hip Hop, jazzten und ließen vor allem jede Menge Funky Sound hören.

Für die Rhythmus-Gruppe Dirk Erchinger und Christian Eitner wie für die Sound-Experten Tom Bennecke und Jan-Heie Erchinger, die teilweise zu den Gründungsmitgliedern und auf jeden Fall zum harten Kern der Jazzkantine zählen, war es kein Problem, den ständig wechselnden Hauptakteuren und den verschiedenen Stilen zu entsprechen. Damit erlebten wir gute zwei Stunden lang musikalisch und optisch eine sehr bewegtes und vielschichtiges Konzert. Den Titeln des neuen Albums, tanzbaren, jazzigen Soulklassikern, wurden die alten Jazzkantine-Klassiker zur Seite gestellt. Es entstand ein ungezwungener und fließender Mix, der tatsächlich die Seele beflügelte.

Für die Soul und Jazz Vocals war im Besonderen die äußerst vielseitige Sam Leigh Brown verantwortlich. Die Jazz-Sängerin, die bereits mehrfach mit der Jazzkantine zusammengearbeitet hat und immer wieder als Studiosängerin für Jazz-, Reggae- oder HipHop-Produktionen gefragt ist, zeigte ihre ganze Klasse. Ihr Instrument Stimme beherrscht sie in jeder Weise. Modulationsfähig und facettenreich ordnet sie es dem jeweiligen Titel unter und ist damit sehr wandlungsfähig. Das ist, was sie anderen guten Sängerinnen voraus hat. In einem munteren Duett mit dem Saxophon brillierte sie ebenfalls.

York wurde an diesem Abend auch noch vom DJ herausgefordert, musste aber nach minutenlangem Duell klein bei geben. Air Knee war es tatsächlich gelungen, mit seinen Platten eine Melodie vorzugeben, bei der das Sax passen musste.

Cappu, Geschichtenerzähler mit permanent strahlende Augen und verschmitztem Gesicht, so ein ganz Lieber, dem man aber sicher auch nie wirklich böse sein könnte, fragte zu Beginn des Konzertes nach der Condition des Publikums und ob es in Ordnung ginge, wenn es unter den Achseln nach Schweiß riecht. Schon mal auf eine lange Nacht eingestellt waren wir insofern etwas enttäuscht, dass schon gegen eins alles zu Ende war. Aber schweißtreibend verausgabt hatte sich die ganze Truppe auf jeden Fall.

„I feel so good, I got you“ nahm man ihnen allen absolut ab, Freude und Spaß war bei den Musikern sichtbar ebenso groß gewesen, wie beim Publikum.

 

pepe