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Interview

Joachim Deutschland

& Spiesser Orgien

 

Joachim Deutschland

In verschiedener Hinsicht war Joachim Deutschland der Überraschungskünstler des Abends. Humorvoll provokativ traf er den Nerv des Leipziger Publikums, und hatte noch sehr viel mehr zu bieten, als einen athletischen Körper, über den sich Leni Riefenstahl gefreut hätte. Der LE-NIGHTFLIGHT sprach am 30.04.2003 zum 6. Courage Festival am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig mit ihm über Spiesser, Orgien und andere Klischees.

Erst seit neun Monaten besteht die Band ‚Joachim Deutschland und die Spiesser Orgien’ in der jetzigen Besetzung und dürfte noch ein Geheimtipp sein. Für welches Genre, soll hier gar nicht diskutiert werden, denn in der Musik gibt es keine Grenzen, am wenigsten bei Joachim Deutschland. Satten Rock bringt er mit humorvollen und provokativen Texten ebenso glaubwürdig auf die Bühne, wie erdigen Blues, bei dem er sich und sein Publikum minutenlang in ein überwältigendes Solo verstrickt. Sein Zeitlimit überzog er mit dem Jimmy Hendrix Titel weit. Mit seinen 23 Jahren hat der Sohn eines Jazz Trompeters und einer Jazz Sängerin bereits alles ausprobiert, was in so kurzer Zeit machbar ist, lebte einige Jahre in den Vereinigten Staaten, spielte dort aber zunächst nicht Gitarre sondern Basketball, bevor er in der Army Fallschirmspringer wurde. Statt im Irak, treffen wir ihn nun aber in Leipzig. Daher unsere erste Frage.

LE-N         Beglückwünschst Du Dich zu Deinem Entschluss, heute nicht mehr bei der 82. Luftlandedivision dabei zu sein? (Lachen auf beiden seiten)

JD      Ja.

LE-N   Deine Bandmitglieder, Eddie Spiesser und Manfred Orgien, haben die das Casting aufgrund ihrer witzigen Namen gewonnen oder gab es da noch andere Gründe?

JD      Es gab kein Casting. Das war alles rein musikalisch. Spiesser ist ein Tier am Bass. Er kann sehr gut Jazz spielen, versteht mich musikalisch und menschlich. Und Manfred Orgien ist wie so’n Wecker, funktioniert immer. Also wir sind als Band musikalisch unzertrennlich.

LE-N   Und wie habt ihr Euch kennengelernt?

JD      Eddie Spiesser habe ich vor zwei Jahren kennengelernt im Jazzclub. Und Orgien hab ich vor neun Monaten kennengelernt, über Spiesser. Wir hatten noch einen anderen Schlagzeuger, der aber nicht permanent dabei sein wollte. Da hab ich mir einen neuen Schlagzeuger gesucht, das war Manfred Orgien.

LE-N   Die Namen selber lassen sehr bildliche Schlüsse zu.

JD      Das sollen sie auch.

LE-N   Du hast, zumindest habe ich das im Netz gelesen, von der neuen deutschen Flut gesprochen, von Dämmen einreißen. Da kann sich jeder was denken dabei. Ich habe vielleicht auch eine Assoziation, aber was meinst Du damit?

JD      Naja, was wir heute gehört haben, so eine Mischung aus Prinzen, Ärzte, Nirvana, alte Heavy Metal Platten, Marvin Gay - also es geht darum, Energie weiterzugeben, ohne sie durch irgendwelche Bezeichnungen einzudämmen. Auch weil ich schwarz bin, kann ich trotzdem Rockmusik machen. Ich muss nicht rappen in Deutschland, um damit Geld zu verdienen, um gehört zu werden. Ich muss mich nicht irgendwelchen Klischees beugen.

LE-N   Also, im weitesten Sinne Grenzen zu missachten und...

JD      Es sind ja keine Grenzen, es sind nur die Grenzen, die in den Köpfen der Leute existieren. Echte Grenzen gibt es musikalisch in dem Sinne nicht. Das wusste Bach und das weiß ich auch. Das sind Klischees, von denen wir sprechen, echte Grenzen gibt es nicht.

LE-N   Wie gefällt Dir die Atmosphäre bei dieser Veranstaltung?

JD      Gut, ja. Freibier, freies Essen, die Leute sind gut drauf. Ich finde es super hier. Es hat Spaß gemacht. Ich hätte den Blues auch am Ende nicht gespielt, wenn ich nicht gespürt hätte, dass die Leute noch was hören wollen.

LE-N   Dein Name Deutschland kann sehr irreführend sein. Hast Du nicht auch manchmal Angst, vor dem falschen Publikum zu stehen?

JD      Ich hatte einmal eine E-Mail von Rechtsradikalen bekommen. Da stand drin ‚Hallo Joachim, ich war Skinhead, bin es in meinem Herzen immer noch und werde es wohl immer bleiben. Ich glaube, dass wir die gleiche Weltanschauung haben. Ich würde gerne für Dich ein Konzert in meiner Heimatstadt organisieren’. Da hab ich mir gedacht ‚Hast Du mich schon mal gesehen?’ Oder ‚Will er mich umbringen?’. Also, vor’m falschen Publikum? Ich glaube, dass mein Gesicht zu präsent ist, um vor dem falschen Publikum zu spielen. Und weitergegriffen, ich glaube, dass es das falsche Publikum gar nicht gibt. Ich glaube, dass die Konzerte sehr nett sind, gegen rechts. Ich glaube, dass das wahre Mittel gegen Rassismus ein Konzert für Rechts ist. Deutschland für Rechts. Wo nur Rechtsradikale kommen, sich meine Musik mal anhören, und sich dann überlegen, wogegen sie eigentlich sind. Also, wenn ihnen die Musik gefällt, was hassen sie an mir? Die Musik bin ich. Was gefällt ihnen an mir nicht? Ich glaube, dass darin der wahre Kampf gegen Rassismus besteht. Das falsche Publikum gibt es nicht.

LE-N   Das ist mutig.

JD      Sehr mutig. Und vielleicht werde ich auch dran zugrunde gehen. Hoffentlich nicht. Und wenn genügend Security da ist, dann ist es o.k. Aber wie gesagt, es gibt das falsche Publikum nicht, es gibt nur die falsche Band.

LE-N   Klar, man muss ja eigentlich gerade bei den Rechten beginnen. Nicht bei den anderen, die eh dagegen sind.

JD      Ich kann jetzt auf die Bühne gehen und sagen ‚Hey Leute, Rassismus ist Scheiße.’ Und alle werden mir zujubeln. Aber was ist damit getan? Deswegen rufe ich auch Bands auf wie ‚Die Ärzte’ oder ‚Die toten Hosen’. Ich will ein Konzert geben ‚Deutschland für Rechts’. Total umsonst, mit Sponsoren, mit Presse, für Skinheads. Ich weiß nicht, was es bringen wird. Also, wenn hundert Leute kommen und 95 Radau machen und nur fünf überlegen, dann ist schon was getan. So – wen haben wir da berührt?

LE-N   Ist Jimmy Hendrix Dein Vorbild?

JD      Das Lied (Red House) ist mein Vorbild, Jimmy nicht unbedingt, aber das Lied. Der Song ist ein großer Teil von mir.

LE-N   Du hast entgegen der Webseitenauskunft Dein Equipment leicht verändert?

JD      Das ist ein Endorserment. Ich habe es ausprobiert aber ich werde es wahrscheinlich nicht spielen.

LE-N   Aber die Puretonverstärker sind eigentlich eine feine Sache.

JD         Duoton! Die Puretonverstärker verzerren nicht so. Die Duoton sind auch cool, die sind auch ein Marshall-Nachbau. Aber es geht nichts über meine alten Marshall’s. Ich werde sie noch einmal ausprobieren. Rock am Ring werde ich wahrscheinlich noch mal mit ihnen spielen, aber ich glaube, dann nehme ich mein Zeug.

LE-N   Also immer noch Marshall JCM?

JD      Ich habe den JMP, noch den 76er (JMP 100W). Ich habe meinen 71er von der Website. Das ist der gleiche Aufbau, wie der der JCM 800. Nur klingt der ein bisschen weicher, ist aber fast der gleiche Amp.

LE-N   Du stehst immer noch auf diesen leicht transparenten Ton.

JD      Genau.

LE-N   Und Deine Gitarre ist auch wirklich ein Unikum.

JD      Ein Unikum. Das ist die geilste Gitarre dies gibt. Mein Gott, er (Roger Borys) hat die in den 80ern gebaut. Er baut höchstens eine im Jahr. Höchstens zwanzig gibt es davon auf der Welt.

LE-N   Und mit der Intonation, gibt es da nie Probleme, gerade wegen des Holzsteges?

JD      Nur wenn eine Seite reißt, ist alles im Arsch. Dann geht es ‚Bling–Blong–Blang’ Dann kann man die Gitarre wechseln. Sonst gibt es keine Probleme. Außer, wenn ich schlecht drauf bin. Dann zieht sie ein bisschen nach oben. Aber, das ist so eine Energie, die kann ich Dir nicht erklären. Einmal verstimmt sich die Gitarre dauernd in der Probe und manchmal gar nicht. Also, das hat nichts mit der Temperatur zu tun.

LE-N   Aber der Sound hat mir sehr gut gefallen.

JD      Ja, der Sound ist sehr gut.

LE-N   Eine Frage habe ich noch, zur aktuellen Single ‚Marie’. Könntest Du Dir vorstellen, dass sie missverstanden wird, dass die Refrainzeile „Schlampe, Drecksau...“ ein Stück zu weit überzogen ist?

JD      Nicht überzogen, es ist eigentlich sehr direkt. Es ist auch kein Beschimpfungslied, ich glaube, es ist das, was Du meinst. Es ist keinerlei Beschimpfung darin! Sondern, was ist denn, wenn man verlassen wird? Wenn wirklich Gefühle drin waren, dann ist es erst mal so ‚Ich hoffe, es geht Dir schlecht ohne mich.’ Man hofft, dass ihr irgendwas an einem gelegen hat, dass soviel Gefühl auch von ihr investiert worden ist, dass es irgendein Nachspiel gegeben hat, dass nicht einfach Schluss war und das war’s, und man sitzt jetzt da mit schlechten Gefühlen, sondern dass es ihr schlecht geht. Es ist wirklich keine Beschimpfung.

LE-N   Vielen Dank für dieses Interview.

pepe + flo - 30.04.03

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